Seit die Vollblutstute Comtessa weiß, dass sie schwanger ist, führt sie sich noch zickiger und gezierter auf als es ohnehin schon ihre Art ist. Auch ihr verständnisvoller Weidekumpel Nepomuk weiß trotz seiner gelassenen Art nicht, wie er es ihr recht machen soll. Zumal er sich auch sicher ist, dass ER ihren Zustand nicht verursacht hat, ja, gar nicht verursachen konnte! Er wäre ohnehin nicht zum (Voll-) Zuge gekommen, da er von niederem Stand ist. „Des Menschen von und zu ist des Pferdes Doppel-X“ philosophierte der kluge Nepomuk hierzu sehr treffend.
Comtessa träumte schon als Jungstute davon, wie eines Tages ein gekörter Märchenprinz tänzelnd vor ihr auftauchen würde, um sie zu beglücken. Als jahrelang hofierter Star auf den Rennbahnen zwischen Ascot und Iffezheim (wenn man ihren Erzählungen glauben will) hatte sie sehr romantische Vorstellungen von der großen Pferdeliebe und dem ersten intimen Rendezvous. Als echtes Vollblut hat sie eben Sinn für großes Kino. Wie diese Beglückung dann jedoch ablief, war für Comtessa überaus ernüchternd.
Den Vater ihres Fohlens kann sie nicht benennen. Nicht dass ein womöglich zweifelhafter Lebenswandel oder mangelnde Tugendhaftigkeit der Grund dafür ist, nein, ihr Besitzer, Herr Schulte-Osthoff, traf die Wahl ohne Rücksprache mit Comtessa. Ihr Vertrauen in seine Auswahl westfälischen Sportlerblutes ist zwar ungetrübt, trotzdem ist es als anmaßend und bevormundend zu betrachten: da sind sich Comtessa und ihr Vertrauter Nepomuk einig!
Der Akt als solcher war ja dann die absolute Frechheit.
Nichts mit lackschwarzem tänzelndem Eroberer, sondern ein dicklicher Zweibeiner. Wie hieß er noch gleich - Dr. Kaltsperm oder so ähnlich – hatte seltsame Gerätschaften im Rucksack und befruchtete Comtessa mithilfe von untierischem Zubehör mit dem Gefriersperma des unbekannten Prinzen. In diesem Moment schwor sich Comtessa, dass sie von nun an ihren unromantischen und distanzlosen Besitzer nicht mehr an den Freuden von Mutterschaft und Geburt beteiligen wird. Die Geburt soll bitte schön ohne sensationslustiges Publikum stattfinden!
In den letzten Wochen der Trächtigkeit Comtessas wird Herr Schulte-Osthoff immer nervöser und geradezu penetrant interessiert an der Gestalt ihrer Figur und primären Geschlechtsmerkmale. Eine Videokamera in der Box seines besten Stücks soll ihm die Campingliege in der Stallgasse ersparen. Die Abfohlbox wird in für Pferde unerreichbarer Höhe mit modernster Technik aufgerüstet. Die schwangere Stute ist ebenso entrüstet wie ihre Stallgenossen: Herr Schulte-Osthoff ist ein Voyeur!
Der belesene Nepomuk berichtet von einem kürzlich rechtskräftig verurteilten Hauseigentümer, der seine Mieter über Jahre heimlich mithilfe einer in der Wohnung installierten Kamera beobachtet hatte. Sonst gar nicht einig in der Sache, hilft der auf Intimsphäre bedachten Comtessa in dieser unwürdigen Zur-Schau-Stellung ein kleiner Futterkonkurrent. Während die empörten Pferde dem Bericht von der durch Videotechnik unterstützten Schandtat lauschen, macht das Nagetier sich an der (wir erinnern uns: pferdesicher platzierten) Verkabelung zu schaffen. Es folgt ein hübsches Glitzern und Fiepen. Aus die Maus. Comtessas Vorsatz, in der Ecke zu gebären, die im toten Winkel gelegen hätte, war nun überflüssig.
„Harztropfen!“, schreit der Pferdepfleger und meint irgendetwas an Comtessas Euter. Als handele es sich um einen Weihnachtsbaum. Nepomuk fragt sich, ob seine Freundin bald einen Tannensetzling gebären wird.
Der auf Niveau reagierende Sender, den Comtessa von da antragen musste, sollte Herrn Schulte-Osthoff auf Gebärung verheißende Liegezeiten hinweisen. Zuverlässig alarmiert das Gerät siebenmal den sensationslüsternen Mann. Jedes Mal findet er im Stall das vor, was ihm selbst zunehmend fehlt: Tiefschlaf. Die inzwischen in den Stall verbrachte Campingliege verlässt Herr Schulte-Osthoff, als seine Frau ihm am Morgen Kaffee ans Lager bringt.
Gemeinsam begrüßen sie den fidelen Nachwuchsprinzen.